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Ein Statt-Stadtfest

Von der Schönheit der Mauern
copyright Rottweil ist überall

Das war toll! Den ganzen Sonntag verbrachte ich noch im Bewusstsein, etwas Einmaliges und Unvergessliches erlebt zu haben. Ach, eigentlich reichte der Rausch bis weit in den Montag hinein. Kein Rausch mit Promille; eher ein Wind, wie von einem Fahnenschlag, der seine Liebe in die Luft schmeißt und mich mitnimmt. Ich liebe einen solchen Nachhall.

Das war phänomenal, grandios, überwältigend. Mega. Glückwunsch Forum Kunst zum 50. Und Danke. Das war ein voll gelungener Geburtstag. Was für eine Show. Wie die Gespenster aus den Mauern krochen. Wie die Töne die Fugen hinab rannen. Wie Hände Farben herausklopften und Steine bespielten. Wie Töne sich zart in den Nachthimmel erhoben. Wie das Tor bebte und in allen Farben des Regenbogens tanzte und wie es sich klirrend um sich selbst drehte. Wie Arme übers Dach hoch oben hingen und vorklatschten, und alle klatschten nach. Wie es im Technorausch fluoreszierte. Wie es am Ende zersprang und in sich zusammenfiel. Ich will es immer wieder sehen.

Ich bin ja überzeugt, dass jedem Ding ein Wesen innewohnt. So stecken in alten Gemäuern die Geschichten aus Jahrhunderten. Nach dieser Show ist das Tor um eine Seele und ein paar Facetten reicher, um Farben und Rhythmen und Bewegungen und Emotionen. Das steckt jetzt alles drin. „Es ist auch ein bisschen gruselig“, meinte die Kleine am Anfang, als die Geisterhände über die Fenster huschten. Da drückte sie sich an mich. Ja, aber so ist das wohl mit der Kunst; sie reißt was auf und öffnet und weitet, und manchmal bringt das einen leicht gruseligen Schauder mit sich. Der - das ist leicht gelernt - lässt sich allerdings gut genießen. Das hat sie dann auch sogleich verstanden.

Anscheinend stammten alle Klänge und Geräusche AUS dem Tor, wurden diesem entnommen und aufgemischt. Das sei gesagt worden - ich habe es nicht mitbekommen. Solche großen Events überfordern mich schnell. So viele Leute, so viele Begegnungen und Eindrücke. So viele Regeln und Erwartungen und Smalltalks und tiefergehende Gespräche. Vielleicht auch ein Grund, weswegen ich hinterher aufschreiben muss – das ordnet und sortiert und verarbeitet. IM Moment der Reizüberflutung geht mir das Eine oder Andere verloren, inklusive Kinder, die ich auch mal gesucht habe. Der Samstag war zugleich der Auftakt des Jazzfestes, mit Musik im Tor. Es war ein Stadtfest, ein Statt-Stadtfest. Wir waren alle drei ganz aufgeregt, dass es das wieder geben kann. Und die Kinder machten sich ihre eigene Party.

Am Vorabend war ich als Begleitperson, als quasi Gattin einer geladenen Freundin, in der ´VIP-Lounge´ oberhalb des Tores. Coole Sache. Leute gehen vorbei und gucken und man selbst ist drin und sieht vorübergehen. War ein netter Ausflug auf die andere Seite der Absperrung und ein Eindruck, wie es sich wohl anfühlt, so als ´very important´. Das Dasein lässt sich schon auf verschiedene Weisen empfinden; hüben ist es anders als drüben, und das ist bestimmt auch so ohne Absperrungen. Der Wein war prima und die Pizzaschnitten lecker, und ich unterhielt mich mit einer zwei Jahrzehnte älteren Frau, die auch nicht in Rottweil geboren ist, aber hier zuhause, und wir gestanden uns vorsichtig die kleinen rottweil-spezifischen NoGos, die wir uns so leisten. Und meine bessere Hälfte unterhielt sich mit der ihren. Ja, sie ist die Tochter ihres Vaters. (Wie soll es auch anders sein.) Das Gespräch dauerte, ob wegen Vater, Tochter oder der besseren Hälfte weiß ich nicht - wir ließen uns nachschenken. Dann fing die Show an. Wir nahmen die Gläser mit. Der Wein war zu gut zum Exen. (Wir haben die Gläser später selbstverständlich abgegeben).

Das Jandl-Gedicht zum Fahnenfest 1974, das zum Anfang an diesem Abend erneut eingespielt wurde, habe ich leider nicht aufgenommen. Ohne Handy ist es leichter, konzentriert zu sein. Aber ich würde es gerne nochmal anhören. Ich hatte schon näher zu tun mit einem großen Jandl-Verehrer. Die Verehrung kann ich nachvollziehen. Inhalt, Witz und Klang der Worte famos zusammengefügt, ein bisschen wie Rap, wie Musik, Magie und Beschwörung. Am Freitag nahm ich es nicht so wahr, aber am Samstagabend dröhnte die Jandlstimme knarzig zwischen den Häusern, und kurz fand ich das beängstigend. Aber dann trug es auch schon wieder davon. „Eine Fahne, die ausruft: ich schmeiße meine Liebe in die Luft.“ „An alle Welt. Hier ruft Rottweil. Freunde, nehmt Teil.“ Und ich sah all die Fahnen und spürte ihr Wirken noch 50 Jahre nach dem großen Fahnenfest. Das ist mir selbst nur noch ganz vage in Erinnerung. Vielmehr - eigentlich kenne ich nur das, was mitschwingt, die Begeisterung und Faszination, die noch immer in den Stimmen liegt, wenn im Haus darüber geredet wird. Das Fahnenfest – das war was!

Am Samstagabend – die Kinder waren schon daheim – wartete ich auf die 2. Show. Ich wollte es noch einmal sehen, einmal ohne die Aufregungen von Viplounge und Statt-Stadtfest, sondern mit der Ruhe ´danach´, wenn eigentlich alles gelaufen ist. Ich wartete mit einer Freundin, die Rottweiler Stadtluft atmet, seit sie atmen kann, und unterhielt mich. Wir sind uns einig – wir würden die Stadtmauern am Liebsten einreißen, wenigstens symbolisch. Sie stehen unter Denkmalschutz - mit Recht - das ist gut so. Und doch regen sie uns auf, weil sie oft das Gefühl vermitteln, sie schotten ab, die einen von den anderen, die drinnen von der Welt draussen, und die Zeit bleibt scheinbar stehen. Und das tut sie natürlich nicht, aber es wird bisweilen so getan als ob. Darin ist die Welt so klein und so überaus eng verwoben, dass wir uns mitunter bewegen wie auf Eis. Man muss es schon ziemlich drauf haben, um sich in Dichte und Tempo der Menge unfallfrei und ohne einzubrechen zu bewegen. Und weil wir das entweder nicht so drauf haben oder es als auf Dauer zu anstrengend empfinden, so dass wir es nicht wollen, meiden wir bisweilen die großen Haufen. Wir brauchen Armfreiheit zum Rudern, sonst fallen wir auf die Nase. Und jemanden nebenbei und aus Versehen umnieten – das wollen wir so ja dann auch nicht. Also kurven wir in Sichtweite und im eigenen Tempo drum herum, sicher ist sicher. Und eigentlich wäre uns lieber, die Mauern wären weg und ließen ein bisschen mehr Raum. Und gleichzeitig lieben wir sie und die Geborgenheit, die sie schaffen. So ist das mit den zwei Seiten der Medaille.

Die Zeit verging, die Gläser waren leer, und wir freuten uns, dass wir uns haben. Und es wurde zehn und halb elf – und ich ging heim. Die Kinder warteten. Das Küchenfenster ließ ich auf, damit ich mitbekäme, wenn es doch noch klappt mit der Show. Ich habe nichts mehr gehört; ich weiß nicht, ob es noch geklappt hat. Technische Probleme. Der Server. Das ist schade, aber nun denn , das kann´s geben. Den Klang, die Freude und die Bilder nahm ich mit. „Ich schmeiße meine Liebe in die Luft“. Liebe und Welt. Liebe und Welt. Liebe und Welt. Liebe, die sich am Himmel festhält, ohne die Erde zu verlassen.

An diesem Wochenende und bestimmt noch ein großes Stück kommende Zeit lieben wir Rottweils Mauern. So schön waren sie noch nie!

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