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Die Qual der Wahl

zur OB-Wahl
copyright Rottweil ist überall

Ich habe einen schweren Kopf, bin lange bei einer Housewarmingparty gewesen und habe dort in einen Geburtstag reingefeiert. Zwei Partys in einer; eine Nacht ist zu kurz für so was. Und dann die Themen – Männer, Kinder, Kirche, Gas, Job, …, und natürlich die OB-Wahl. Es ist meine erste. Und ich bin unentschlossen. Ich find´s echt schwer. Dabei ist tröstlich, dass es anderen genauso geht. Keine der Frauen gestern wusste ohne Zögern, wen sie wählen wird.

Den Herrn Dr. Ruf, den kennt man nun schon, hat ihn öfter gesehen, und immer war er freundlich, nie ist er unangenehm aufgefallen. Der macht seinen Job vermutlich ganz famos, als Bürgermeister bestimmt. Es bleibt halt die Frage, wie das mit dem Wechsel von Verwalten zu Gestalten so klappen würde. Er kommt auf den Plakaten ein wenig lockerer daher, das steht ihm gut. Aber trotzdem – so richtig den inspirierten Macher mit frischen Ideen seh ich halt nicht in ihm. Außerdem stelle ich mir vor, dass die Kontakte schon stehen/ die Verbindungen, und dass in den vergangenen Jahren schon so viele Gespräche geführt sind, die alle ihre Resultate gebracht haben, so dass „anders“ nur bedingt drin liegt. Und dann redet er halt doch wieder von neu auszuweisenden Baugebieten, und das geht halt gar nicht. Irgendwann, will ich meinen, muss man mal aufhören mit zubetonieren und mit dem Vorhandenen schaffen.

Das gefällt mir an Kai Jehle-Mungenast nicht schlecht, der ein sehr reserviertes Verhältnis zu Abriss und Neubau zu haben und mit ressourcenschonender Politik tatsächlich genau dies zu meinen scheint.

Ich habe ihn getroffen, zusammen mit zwei Freundinnen. Ich habe mich gefragt, was das für einer ist, so jung und „von außen“, und ökologisch eigentlich auf meiner Schiene, dabei in der CDU - ´bring ich nicht gut zusammen. „Die haben zuerst gefragt, ob er für sie in den Gemeinderat gehen würde“, so ungefähr hat er es dargestellt, und damit fang ich was an. Solche Geschichten kenne ich auch von Gemeinderatsmitgliedern hier, bei denen man/frau in einer Fraktion sitzt, deren Parteibuch nicht unbedingt in der Schublade liegt. Und ja, das „C“ in der CDU; er ist katholisch, und das ist ihm wichtig. Nu denn, ich bringe die CDU nicht zwangsläufig mit „christlich“ in Verbindung. Ich unterstelle, Nächstenliebe zeigt man da auch nur, wenn´s nichts kostet; in erster Linie geht es ihr um Wirtschaft und darum, dass von den eigenen jeder sein treffliches Auskommen hat. Aber bitte, wenn Einer nachhaltige Politik mit „Schöpfung bewahren“ begründet, dann passt das auch. Grün und Schwarz sind bei uns im Ländle sowieso frappierend nah beisammen. Mutig ist er, das schließe ich schon aus seiner Bewerbung, die von keinem Klüngel hier unterstützt wird, und eine gewisse Erfahrung bringt er mit, was bestimmt auch kein Nachteil ist. Was mich irritiert, ist, dass er auf die Frage, wie er wohnen will, auch den Traum von „eine Familie, ein Haus, ein Garten“ an die Wand malt, ressourcenschonend im sanierten Altbau zwar, aber halt doch. Und ich denke mir, wenn noch nicht mal die „Gestalter“ neue Träume vom guten Leben pflegen – wie sollen diese sich dann jemals ändern?

Und dann fällt mir noch was ein. Ich weiß den Anlass nicht mehr - ich habe ihn gefragt, wie er übers bedingungslose Grundeinkommen denkt. Da habe er keine abgeschlossene Meinung, sagte er, was mir eigentlich gefiel, weil ich´s als ehrlich empfinde, wenn Einer nicht so tut, als habe er immer auf alles aus dem Stegreif eine Antwort. Die Parole „Fördern und Fordern“ fand er wohl als Grundgedanke mal ganz gut, wobei er heuer auch sieht, dass diese Sanktioniererei bisweilen ihren Sinn verfehlt. Und da regt sich im Nachhinein dann doch Widerspruch in mir. Es geht nicht um den verfehlten Sinn. Es geht darum, dass dies Fordern eine ungeheure Anmaßung beinhaltet. Wer in Hartz IV steckt, der steckt da nicht, weil alles so klasse lief, der hat mitunter ganz andere Sorgen als irgendein Bullshitjob oder eine bescheuerte Maßnahme, und der ordentliche Job, der in Zeit und Energiehaushalt passen und zu leisten wäre, den gibt es so oft tatsächlich nicht. Und selbst wenn es nicht in nackter Not passiert, sondern einfach als eine Zeit, die sich ums Private dreht, dann ist auch das in Ordnung. Es geht um Arbeitskraft, nicht um Sklaverei - zugegeben überspitzt formuliert.

Auf den Plakaten wirkt Jehle-Mungenast glatt, wie viele dieser Newcomer in der CDU. Im direkten Gegenüber geht’s, da empfand ich ihn als authentisch. Ansonsten hat er ein paar gute Ideen, (wobei ich keine Ahnung habe, was zB ein Digital Hub ist), und das „von außen“ stelle ich mir vor, kann ein Vorteil sein. Vieles muss er erst kennenlernen, aber „Beziehungen“ können bestimmt so viel erleichtern wie blockieren.

Tatsächlich war mir so nicht bewusst, dass in den vergangenen Jahrzehnten fast alle OBs in Rottweil Männer aus den eigenen Reihen waren. Das war Thema gestern Abend. Irgendwie scheinen immer dieselben dran.

Und das irritiert mich nun. Mein Favorit war - und ist - Simon Busch, dem ich eine ähnliche Definition von „zeitgemäß“ unterstelle, wie ich sie selbst pflege, der Rottweil zunächst als Wohnort, weniger als Kulisse, versteht, und der Notwendigkeit und Möglichkeiten sieht, dass und wie dies Wohnen nachhaltig und ökologisch verträglich funktionieren kann; für den die Stadt nicht hauptsächlich Ausflugsziel sein soll, welches mit mittelalterlicher Optik glänzt, sondern Wohnort im 21. Jahrhundert. Wie genau Er sich das vorstellt, das weiß ich - noch - nicht. Ich selbst denke an Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Innenstadt, an begrünte Mauern und Bäume in den Straßen. Mich würden Schüsseln an Balkonen nicht stören und auch nicht Balkon-Solarpaneelen. Man darf den Straßen ansehen, dass Leute in ihnen wohnen. Als Tourist würde ich selbst auch lieber mit Einheimischen unter einem Baum sitzend ins Gespräch kommen, als mal eben knipsend die Hauptstraße hoch und runter und Friedrichsplatz- Hochbrücktorstraße raus und wieder rein zu laufen. Und wenn die Stadt halt keine Einkaufsstadt ist, ja, dann halt nicht. Wo gewohnt wird, wird auch gekauft. Das genügt. Und bei H&M, diesem Symbol einer Einkaufsstadt schlechthin, kann man auch bestellen. Sonst freut sich halt Villingen über einen Besuch. Was soll´s. Mobilität würde mehr öffentlich, elektrisch und variantenreicher; es wäre nicht immer der PKW. Familie, Kultur, Lebensfreude, bei Busch ist alles drin. Viele Grüne unterstützen ihn und viele, die ich im Umfeld dieser Visionswerkstatt im Streit ums Parkhaus getroffen habe. Die sprechen mir alle aus der Seele. An seiner Fußgänger-Gehfreudigkeit müsste Herr Busch allerdings arbeiten, sag ich mal. Im Gespräch fand er mal zehn Minuten Fußweg am Morgen mit Kleinkind an der Hand zu viel, wo ich dann staune und denke, das müsst schon drin liegen. Zehn Minuten, und seien´s fünfzehn – wenn die Stadt nicht mehr den Autos gehören soll, ist das nicht zu viel verlangt, will ich meinen. Bequemlichkeit ist keine Grundlage des zukunftsweisenden Gestaltens, nicht für die, die in der Stadt einkaufen sollen und auch nicht für die, die in ihr wohnen.

Aber um weg von diesem Freilichtmuseums-Selbstverständnis zu kommen, müsste sich die Stadt schon auch bewegen. Und da hatte gestern nicht nur ich echt Zweifel. Der Dino ist so schwerfällig, ihn auf Trab zu bringen gar nicht so leicht, schätze ich. Anderswo heißt es „Netzwerk“, auf schwäbisch Klüngel. (* Anmerk. s.u.) Da ist man so verbandelt, dass man gefangen ist wie im gordischen Knoten. Ich meine, Bande/Verbindungen sind erstmal nichts Schlechtes. Man lebt zusammen, über lange Zeit, da entstehen sie automatisch. So soll das sein. So weit, so gut also. Nur wird´s ausschließlich, wenn´s zu eng verflochten wird, dann findet wenig Neues mehr Platz. Und das ist der Punkt, an dem die ganze Gesellschaft gestern Abend uneins war, wie viel „außen“ und „neu“ Rottweil wirklich braucht, wo man es am Besten her bekäme. Wie muss der beschaffen sein, der das „von außen“ aufbricht, oder kann sich Einer auch „freischwimmen“. Die Ansichten gingen auseinander.

Ich weiß, ich habe das schon mal geschrieben – ich will´s trotzdem nochmal tun: ich wünsche mir eine Prise Boris Palmer beim nächsten OB. Die Freude an der Provokation braucht es nicht, aber die Kuttel, auch mal gegen bestehende Verhältnisse anzugehen. Ist das besser mit viel Rückhalt, oder tut man das am Ehesten frisch und reingeschmeckt? Keine Ahnung. Auf Anhieb unterstelle ich keinem der drei relevanten Bewerber diese Chuzpe. Dafür haben sie alle sehr diese freundlich-unverfängliche Wahlkampfsprache drauf. Nu denn, Rottweil ist nicht Tübingen und Ruf, Busch und Jehle-Mungenast sind nicht Palmer. Kann ich auch nicht erwarten. Schön wär´s allerdings schon.

Ach, ich hätt´s sowieso gerne städtischer.

Manchmal kommt die Stadt mir vor wie ein Unternehmen, und ich kenne nur einen Teil der AGBs; eine Markthalle, deren Stände längst verteilt sind. Da bietet sich hier noch eine Nische, in die man sich Kunsthandwerker*innen träumt, und da ein Eckchen für einen kleinen Shop. Aber das Wesentliche ist verteilt und geschwätzt und das Ziel des Unternehmens ist unverrückbar festgelegt. In die Stadt sollen Touristen, die einkehren und kaufen, und da stört dann alles, was die mittelalterliche Optik verändert. Das Konzept funktioniert zwar nicht, hat es nie, tut es nicht und wird es auch nicht tun, aber man kommt von dem Trip einfach nicht runter. Und unter Moderne versteht man schon, wenn sich nirgends ein Funkloch auftut.

Da fällt mir ein, ich war mit den Stadtjugendring-Sanierern - die Zeit hat durchaus die eine oder andere Spur in mir hinterlassen - mal in - war´s Regensburg? Da erfuhren wir auf der Führung, dass hinter den schmucken Fassaden Neubauten in Beton und Kunststoff stecken. Ganze Straßenzüge waren potemkinsche Attrappen im freundlichen Sinn. Wir haben uns schlapp gelacht, fanden es vollkommen absurd. Das sehe ich heute differenzierter, trotzdem halte ich Denkmalschutz dann für am effektivsten, wenn er ressourcenschonend vorgeht, weil dann automatisch erhalten bleibt, was funktioniert. Wir sparen den Beton, lassen Mauern und Fenstersimsen und planen uns selbst in die Gebäude hinein.

Wen wählen. Ich weiß es nicht. Immerhin, ich werde kaum unglücklich sein, mit keinem der Dreien. Den Afd-Menschen lass ich mal außen vor. Die Afd ist für mich keine demokratische und keine humanistisch gesinnte Partei, und ihre Vertreter sind es auch nicht. Außerdem schwadroniert der Herr ständig über Wohlstand und Wirtschaft, als wäre unser Wohlstand nicht längst exzessivster Überkonsum und die Wirtschaft einzig zählendes Kriterium. Alle drei also haben ein paar der „neuen“ Themen, die so neu nicht sind, die nur bislang keine Rolle gespielt haben, in ihren Programmen. Jeder redet von Klimaschutz und Nachhaltigkeit, von einer familienfreundlichen Stadt, jeder von der Stadt als Wohnort und von einem besseren ÖPNV. Die Aufgaben sind so gesehen mal klar. Wer´s am Besten hinbekäme – ich weiß es nicht. Aufregend find ich´s und schwer. Ich will noch an einzwei Wahlkampf-Veranstaltungen teilnehmen und dann entscheiden. Oder auch dann nicht gleich. Vielleicht nehme ich auch die Briefwahlunterlagen mit und entscheide „von außen“. Ich plane einen Ausflug nach Potsdam zu einem Exil-Rottweiler. Der hat guten Wein, leckeres Essen, einen unverstellten Blick, Wasser drumrum, und dort gibt´s auch Briefkästen.

 

Anmerkung:

Klüngel, wurde ich korrigiert, ist nicht schwäbisch, sondern rheinisch, aus dem 19. Jahrhundert, und durchaus wertend, abwertend nämlich. Der Duden sagt dazu: „Gruppe von Personen, die sich gegenseitig Vorteile verschaffen“ . Ob das auf Rottweil zutrifft oder nicht, was für Klüngel es da gibt oder nicht, und in wie weit man sich das Vorteile verschafft oder nicht, das will ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Ich weiß es auch nicht. Ich bin in keinem.

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