Das bin ich
Beate Kalmbach, 55, zwei Kinder, 10 und 12. Alleinerziehend in einem eher ungleichen Wechselmodell. In Rottweil aufgewachsen und nach zwanzig Jahren weitweit fort zurückgekehrt. Teilzeitjob im Gesundheitswesen, ganz ohne Dipl und Dr. Ich backe gerne und gut Brot, im Übrigen aber kleine Brötchen. Ich singe und tanze gerne; wenn ich Muse habe, lese und schreibe ich, und ich liebe meine Familie, Freundinnen und Freunde, lange Spaziergänge, Baden und Sauna. Ausserdem bin ich seit Kurzem stolzes Mitglied der Kleingartenvereins und will ins Gärtnern einsteigen. Ich bemühe mich redlich um Gelassenheit – der Weg sei schließlich das Ziel - scheitere aber bisweilen daran.
Weshalb ich dies Blog schreibe, (ja, „DAS Blog“ – kurz von Web-Log = Internet-Tagebuch, sprich öffentliches Tagebuch):
Ich ringe sehr mit meiner Angst und meinem Unverständnis der Welt gegenüber. Meine lange, durchaus freiwillige Kinderlosigkeit empfand ich daher als einen Zustand der Gnade, weil angstfrei. Damals genügte der Vorsatz, nicht in der Welt zu wüten wie ein Wildschwein und mich anständig und rücksichtsvoll zu benehmen. Das sollte genügen, mehr kann ich nicht tun. Für mich selbst zu sorgen war nie ein Problem, egal in welchen Krisen und Nöten – da braucht es nicht viel, dazu reichte es allezeit und allemal. So ließen sich Krisen und Katastrophen leicht aushalten. Dann kamen Kinder - ungeplant, aber willkommen und geliebt - und mit ihnen eine brachiale, latente Angst. Diese Angst finde ich nach wie vor einen übel hohen Preis, und ich kann nicht anders, als mich immer wieder mit ihr auseinander zu setzen.
Im Schreiben ordne und sortiere ich und nehme eine Haltung ein, und am Ende ist ein Punkt dahinter, der mir fürs Erste Ruhe und Frieden verschafft. Fürs Erste. Die Welt dreht sich und jeden Tag geschieht etwas, das die Lage beeinflusst. Immer wieder muss ich neu denken, manchmal auch, weil ich feststelle, es gibt andere, schlagende Argumente oder bessere Blickwinkel. Ich schreibe, wie ich die Dinge sehe und empfinde, ohne Anspruch auf „Rechthaben“, aber mit dem Anspruch, eine einigermaßen fundierte Haltung zu haben.
Ausserdem, denke ich, leben wir in einer Demokratie. Das hat Tücken und Vorzüge. Fest steht, jeder hat eine Stimme und soll und darf sich äußern so gut sie/er eben kann. Dies ist die meine.
Weshalb „Rottweil-ist-überall“:
Weil ich das Glück hatte, in dieser Stadt aufzuwachsen. Kindheit und Jugend waren bisweilen etwas schräg, (was sie wahrscheinlich immer und bei allen sind), aber beschaulich und geliebt, und vermutlich leicht verzogen. So klein und übersichtlich diese Stadt und unsere Beamtenfamilie auch war und ist - man macht sich kein Bild, wie verpeilt man trotzdem sein kann. Nichtsdestotrotz - die Jahre beinhalteten tiefe Verbundenheit und Wurzeln, welche mich trugen und begleiteten, als ich die Stadt schon längst verlassen hatte. Diese Wurzeln nahm ich überallhin mit, bis sie mich schließlich zurückführten. Was sehr okay ist. Ich hatte eine Bauchlandung hingelegt, die so ziemlich alles beinhaltete, worin man scheitern kann. Ursprünglich war der Plan gewesen zurückzukommen, eine Ausbildung zu machen, die bis dahin einfach keinen Platz im Leben gefunden hatte, und dann wieder zu verschwinden. Dann ist es anders gekommen, aber auch das ist okay.
Rottweil ist eine gute Stadt um zurückzukommen. Es hätte sich schambehafteter anfühlen können. Aber ich begegnete erstaunlichem Großmut und konnte tatsächlich neu anfangen. Shit happens. Das weiß man halt auch hier. Im Grunde muss einem wohl ziemlich wenig wirklich peinlich sein. Diesen Großmut fand und finde ich sehr liebenswert und berührend.
Das Wandeln innerhalb dieser alten Stadtmauern hat etwas Beruhigendes und Relativierendes. Man ist so umhegt, und aus den Mauern strahlt das Bewusstsein all dieser unzähligen Generationen, die da schon gegangen sind. Da relativiert sich jede Geschichte.
Manche "alte" Türen gingen schnell wieder auf, bei anderen dauerte es länger, und es kamen ganz andere, neue Türen hinzu. So ein Älter- und Alt- Werden hat ja schon etwas Seltsames. Mit jedem Lebensabschnitt fühlt man sich neu und anders, aber eigentlich ist alles noch drin, das dicke Kind, der Komplex-beladene Teenager, die verpeilte junge Frau - und eben das, was draus geworden ist. "Man guckt immer zu denselben Augen hinaus", sagt eine Freundin, die in der Altenpflege tätig ist.
Es ist schon erstaunlich, wie viel Freiheit so eine kleine, katholisvhe Beamtenstadt bietet. Als Jugendliche fehlte mir immer Szene. Anderswo gab es Punks, Grufties, Rocker und Popper und was weiß ich noch alles. Heute habe ich keine Ahnung mehr, was es anderswo für Szenen gibt. Bin ja schon so lange und so sehr überwiegend hier. Und es ist mir auch egal. Es gibt hier eine großartige Vielfalt an Lebensgefühlen und - Entwürfen, und sehr viele tolle Leute machen sehr viele tolle Sachen.
Für Ortsfremde:
Rottweil ist eine durchaus ´entzückend´ zu nennende Kleinstadt zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, und zwischen Stuttgart und Bodensee. Es zählt rund 25.000 Einwohner inklusive Eingemeindungen und rühmt sich, die älteste Stadt Baden Württembergs zu sein. Als Arae flaviae wurde es von den Römern gegründet. Es gibt ein Römerbad, ein tolles Orpheusmosaik im Museum und viele andere römische Funde. Im Jahre 2073 feiert man das 2000-jährige Bestehen. Sofern bis dahin nicht die Welt untergegangen ist. Außerdem ist Rottweil bekannt für die Fasnet, den Rottweiler Hund und neuerdings für die mit 232 Metern höchste Aussichtsplattform Deutschlands, den Thyssen-Krupp-Turm. Es ist katholisch geprägt und als solches recht lebensfroh. Schon, weil die Fasnet als ferne Ahnung eben auch unterm Jahr pocht. Wobei diese Lebensfreude, wie alles kirchennahe, festen Vorstellungen unterliegt, wer wie wann und wo über die Stränge schlägt. Rottweil ist konservativ. Neue Wege werden bisweilen nur vornehm zögerlich gedacht, überwiehend hält man sich lieber ans Bekannte . Es gäbe zu verbessern. Ach. So viel gäbe es da zu verbessern. So viel. Trotzdem – alles in allem ist´s ein sehr okayener Ort um zu leben und um Kinder großzuziehen.
Es ist halt ein bisschen klein. Manchmal ZU klein für meinen Geschmack. So alles einander angepasst in trauter Harmonie und homogener Selbstgenügsamkeit. Eine Insel der Glückseligkeit inmitten einer tosenden See, und am Strand bleibt man immerzu im Sand stecken. Wenn´s mir so geht, zieht´s mich umso mehr hinaus. Dann ruft die große weite wundervolle Welt. Die Möglichkeiten fürs Reisen sind allerdings begrenzt. Wir sind ja heimisch und sesshaft. Und also bin ich eben die weit überwiegende Zeit der Tage hier, in Rottweil, und guck hinaus in die Welt. Und wieder hinein. Und wieder hinaus. Und wieder hinein. Und sinnier dabei so vor mich hin.
Und so füllt sich dies Blog.