Nizza

Ein früher Sonntagmorgen in Rottweil.
Die Hauptstraße strahlt rosa. Meine Schritte, den Wind vom Hochturm herab und flatternde Tauben. Die Stadt schläft noch. In diesem Moment will ich nirgends anders sein. In diesem, und in den nächsten 10 Millionen auch nicht. Ich bin zum Frühstück eingeladen. Und ich gehe mal davon aus, auch dieser Kaffee ist mit Liebe und savoir-vivre gekocht. SO ist Heimkommen geradezu berückend.
Grade komme ich zurück von einer Woche Nizza. Eine Woche Riviera und Alpes maritimes. Der Koffer steht noch in der Diele, der Mantel ist nicht ausgezogen. Schön war´s.
Sonnig. Windig. Wohlriechend. Leichtlebig. Vielfältig. Charmant. Interessant. Berührend. Aufmischend. Steil. Schrill. Müde. Nass. Lecker. Freudig. Irritierend. Reich. Abgefahren reich. Euphorisch. Und verschnupft. Komisch. Und vertraut. Ja, das auch.
Bisweilen bildete ich mir ein, Rottweiler Gesichter begegnet zu sein. Wie im Traum. Ich sah eine Andrea, einen Jürgen, einen Stefan, einen Karl, und das sind längst nicht alle. Und stellenweise roch und klang etwas nach ´daheim´, und schlug einen Bogen.
Und dann wieder nicht.
Die Busfahrer waren freundlicher, und wenn ich irgendwen irgendwas fragte, eine Passantin nach dem Weg, die Verkäuferin nach der richtigen Kasse, den Wirt nach dem Preis – egal, was – es gab keine Erklärung ohne charmante Einlage, keine Antwort, die nicht zum Lachen oder Lächeln gebracht hätte. Balkone gingen nach vorn, öffneten sich der Stadt, und selbst Neubauten, zumindest jene in mehr oder weniger Zentrumslage, wurden Schnörkel, Bögen, Türmchen und Firlefanz gegönnt. Dafür waren die Spielplätze ein Bild des Jammers.
Mauern waren - auch dort - zum Durchfahren dick, nach ´alt´ gab es immer ein ´noch älter´, und es gab keinen Stein ohne Geschichte und keine Floskel ohne Bewandtnis.
Aber Bunker waren in den Berg gebaut und eigentlich auch keine Bunker, sondern Höhlen hoch oben. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie man da hinaufkam, in der Eile, beladen mit allen, die den Weg nicht von alleine schafften und außerdem noch mit dem Notwenigsten an Hab und Gut.
Und auch dort schützten Mauern längst nicht alle.
Die einen schlafen in Hauseingängen, und das sind sogar ziemlich viele. Die anderen schnappen sich die schönsten Flecken an der Küste, bepflastern sie mit grandiosen Villen und Parks, und die sind wirklich grandios - reich will man sein, wenn man das sieht – und versetzen ganze Küstenabschnitte in Dornröschenschlaf, weil es wohl mehr ums Haben geht, als ums Bewohnen und Beleben.
Ich bin bezaubert, und beeindruckt, und muss kurz in mich gehen, und stelle fest, es stößt mir auf.
Es müssen weiß Gott nicht alle gleich viel haben. Aber in diesem Verhältnis stimmt etwas nicht. Und dies ist nur ein Ort, an dem es sichtbar wird – stimmen tut es auch anderswo nicht.
Den Moment lieben will ich trotzdem. Das Schlendern und Gucken. Und das Liegen am Strand, wo Wellen mit Flugzeugen um die Wette grollen. Hier sind es eben Palmen, die sich im Wind wiegen, und sie tun das ausgesprochen elegant und nonchalant. Und daneben das Meer, das sich türkis und blau kräuselt, und wenn die Wellen weichen, dann klackern die Steine im Sog. Ich muss einfach die Schuhe ausziehen. Und rein. Und noch weiter. Und noch weiter. Bis ich halt doch drin bin. Auch wenn´s zum Erbarmen kalt ist. Auch wenn das nur die ganz Sehnigen oder die im Neoprenanzug wagen. Ich muss rein. Und ein paar Züge schwimmen, wenigstens weit genug, dass ich die Stadt vom Meer aus sehe, wie sie sich so adrett an den Berg lehnt. Das ist jedes Bibbern wert. Das so schlimm auch gar nicht ist. Ist wie beim Chips-essen – ich will sofort nochmal.
Heute Rottweil. Daheim. Morgen Brötchen verdienen. Und einen Groschen für die Reisekasse.
Gestern Meer. Nächste Woche vielleicht wieder aquasol. Sauna. Was ein adäquater Ersatz ist. Ins Wellenrauschen mischt sich da kein Flugzeug. Und fehlen tut es dann auch nicht. Und die Stimmen nebenan sind nicht italienisch oder französisch. Kauderwelsch sind sie, wie´s ihnen gefällt - verstehen tu ich´s oft nicht, auch wenn´s schwäbisch ist. Und da lieg ich dann und tanke Sonne und will nirgends anders sein und die Stadtschreiberin fällt mir ein, ich weiß den Namen nicht mehr , die meinte, ´Und Rottweil liegt am Meer´. So oder so ähnlich. Recht hatte sie.
Rottweil an der Riviera. Hach. Das wärs´
Ein schöner Traum.