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Über die Spaltung der Gesellschaft und die Prioritäten der Krisen

in der nrwz im August 2020

Lieber Roman,
in einem gebe ich Ihnen unumwunden Recht: „Für ein Leben in Liebe, Frieden, Freiheit, Bewusstheit, Dankbarkeit und im Einklang mit der Natur.“ Dafür stehe ich auch, und ich wünsche mir, dass dafür ein weit überwiegender Teil der Menschheit steht.

Ich war trotzdem nicht auf der Demo. Ich sehe auch nicht, dass Meinungen unterdrückt werden. Es wird sehr sehr viel gesagt und sehr sehr viel verbreitet, es wird demonstriert und protestiert und das ohne, dass es irgendwelche negativen Konsequenzen für irgendwen hätte. Es kommen nur einfach viele Meinungen und Haltungen nicht zum Tragen. Und auch ein wissenschaftlicher Diskurs findet statt. Nur wird nicht allen Wissenschaftlern gefolgt. Mir scheint, dies ständige Beleidigtsein, ´ich werde nicht gehört´, ist Teil des Problems unserer Gesellschaft. Jeder will den Ton angeben und ist beleidigt, wenn es grad ein andrer tut. Demokratie ist auch, Mehrheiten auszuhalten.

Solange sie auf dem Boden des Grundgesetzes sind, freilich. Schön, wenn dies eine solche Würdigung erfährt. Das Grundgesetz aber sehe ich persönlich durch die derzeit beschränkenden Seuchenschutzgesetze nicht in Gefahr, eher dadurch, dass es ad absurdum geführt wird von Leuten, denen es um anderes geht.

´Nicht Spaltung, sondern Gemeinschaft, und einen Konsens für das Wohl der Gesellschaft´ wünschen Sie sich, wenn ich das richtig zusammengetragen habe. Das wünsche ich mir auch. Und viele Demonstranten würden das sicher genau so unterschreiben. Einigen aber, es mögen wenige sein, doch die sind in der Organisation stark vertreten, geht es durchaus um Spaltung.

In den Think tanks der Rechten werden Strategien gelehrt, wie Begriffe so verdreht werden, dass stets der Angreifer das Opfer ist und der Verursacher der Verwirrung ihr Ankläger. So sind für diese Strategen zB. stets die Anderen die Freiheitsbeschneider und Meinungsdiktatoren, während sie selbst es sind, die ein ganz klar umrissenes Bild davon haben, für wen welche Rechte und Freiheiten gelten und für wen nicht.

Nein, da muss ich Ihnen widersprechen – ich finde, es gibt durchaus Haltungen, die keine Bühne bekommen sollen. Kein Pakt mit Rechtsaußen.

Nichtsdestotrotz finde ich die Energie, die aus diesen Demos spricht, durchaus ermutigend, wie mir auch die Entschlußkraft der Politik gut gefällt. Und da wiederum gebe ich Ihnen Recht – sie zeigt sich mitunter nur an der falschen Stelle.

Ja, es gibt bedrohlichere Krisen als Corona. Aber die heißen nicht Mund-Nasen-Schutz. Die heißen Klimawandel und Umweltzerstörung. Und da sieht es mit der Demonstrationsfreude doch ziemlich anders aus, und mit der Entschlußkraft der Politik auch, und es werden von Klimawandelleugnern, -skeptikern, und – relativierern wieder nur die Wissenschaftler anerkannt, die die Bälle flach halten und abwiegeln, ´alles nicht so wild, kein Grund irgendwas zu verändern´. Und drum beschleicht mich das Gefühl, dass es in Wahrheit um etwas ganz anders geht. Es wird ja nirgends so viel von Panik gesprochen wie auf den Demos gegen die Corona-Maßnahmen. Und ich glaube, in Wirklichkeit ist die Panik vieler vor einem Ende der Party die größte Motivation für ein kollektives ´Dagegen´.

Die Freiheit des einen hört da auf, wo die des andern anfängt. Und das liegt ziemlich dicht beisammen.

Unsere Kenntnisse über Corona sind allesamt begrenzt, und ja, auch ich sehe mehr Kollateralschäden als tatsächliche Erkrankungen.  Ich sehe aber auch, dass es anderswo auch andersherum stattfindet. Ich wünsche mir größere Flexibilität und großzügigeres Abwägen in einzelnen Abläufen, Einrichtungen und Detailfragen. Darin stimme ich Ihnen zu. Ich sehe aber auch, dass, wo die Virenlast hoch genug ist, es schnell eskaliert und das Gesundheitssystem sprengt, und so lange das so ist, trage ich Mundschutz und umarme ausgewählter, was auch etwas für sich hat, und halte mich weitestgehend an die Regeln. -  Eben. Keine Panik. Es gibt Schlimmeres.

„Für ein Leben in Liebe, Frieden, Freiheit, Bewusstheit, Dankbarkeit und im Einklang mit der Natur.“

Das bedeutet Rücksicht, Selbstbeschränkung, Verantwortung und Nachhaltigkeit.

Würde mich freuen, man träfe sich auf einer Demo, auf der es genau darum geht.

Herzliche Grüße

Beate Kalmbach



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