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Eine Woche im Oktober

Das Stück hieß „Pure Scheiße“, und es lief tagelang,
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fast zwei Wochen. Dabei war ich in die erste relaxt und voll Vorfreude gestartet, weil wir an ihrem Ende ein Fest feiern wollten.

Es fing damit an, dass ich krank wurde. Eine Erkältung eigentlich nur, wenngleich stärker als gekannt. So schlapp fühle ich mich sonst nicht. Die Tests waren negativ, aber es fühlte sich alles positiv an, oder andersherum – ich war ein bisschen verwirrt über diesen Zustand. Und ich konnte der Müdigkeit auch nicht allzuviel Platz einräumen; es liefen ja die Festvorbereitungen, viel mit Maske.

Und dann war der Kater weg, ging abends nochmal raus, eine letzte Runde, und kam nicht wieder heim. Ich habe nach der ersten Nacht gewusst, dass etwas nicht stimmt. Aber es konnte ja immer noch alles ein gutes Ende nehmen. Er war so neugierig und ging durch jede offene Türe. Vielleicht war er irgendwo eingesperrt. Ich leierte die Suche an mit Plakaten und geteilten Profilen, Tierschutzorganisationen und sogar einer Art Katzenschamanin. So eine Ungewissheit quält. Aber wir wollten hoffen.

Und dann stritten wir über zu viel Hausaufgaben und zu wenig Lernwillen, über zu viel Chillen und zu wenig Ordnung. Und wir stritten so, dass klar war – wir haben ein Problem, das eine Lösung verlangt. Wir konnten´s fürs Erste gut sein lassen, wir wollten uns doch aufs Fest freuen. Aber wegignorieren auf Dauer wird es nicht bringen. Ende der Woche war der Kater immer noch nicht da, die Hausaufgaben waren gemacht, und die Erkältung machte sich auf den Rückzug.

Und dann kam der Samstag, das Fest. Das Mädel wurde getauft. Es gibt mehr als genug gute Gründe, um mit der katholischen Kirche so restlos durch zu sein, dass da gar nichts mehr geht. Aber Glaube gibt ja auch Kraft und Halt, und es war ihr vehement vorgetragener ureigener Wille gewesen. Und dann ist es ja nicht so, dass sie einen Vertrag unterschreibt, hatte ich mir gedacht. (Ich hatte mich hier und da durchaus rechtfertigen müssen.) Wie sie es dereinst annimmt und umsetzt oder eben auch nicht - das steht ihr völlig offen. Aber kennenlernen kann sie´s so. Sie will bei denen sein, die an Gott glauben, hatte sie gesagt. Und wer wäre ich, das nicht zu respektieren. Sie hatte den Tag seit Wochen herbeigesehnt. Am Morgen kamen die Patinnen und halfen, das Mädel zu richten. Der Musiker kam und der Moment des Aufbruchs. Immer wieder hatte sie mir in den Tagen davor erzählt, wie schön sie sich das vorstellte, wenn unsere kleine Festprozession die Ecke vorzöge, das Boltengässle hinab, einen Blick nach rechts hinüber zum Schwarzen Tor und weiter zum Münster, wie sie in unserer Mitte ginge und wir plaudern würden, wie schön das würde.

Und dann gingen wir gerade die Treppe hinab, und da läutete es oben, und als wir unten ankamen war die Türe schon offen und eine fremde Frau stand im Türrahmen. Sie putzt beim Nachbarn. In dessen Garten liege eine tote, schwarze Katze. Das Mädel hat es zum Glück nicht bekommen. An die Festprozession kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube, ich habe kein einziges Wort gesagt. Eine der Patinnen sagte später, vielleicht hat sie es durch ihr Kopfkino, den Film, den sie für sich selbst immer wieder sah, es doch irgendwie gehabt. Ich hoffe es sehr.

Es gab auch Highlights. Die Taufe war ein solches. Der Gottesdienst war ergreifend schön. Die Fürbitten, welche die Patinnen gemacht hatte, gingen zu Herzen, das Solo des befreundeten Musikers rührte fast zu Tränen, die junge Freundin brachte mit der Flöte glockenhelle Freude ins Münster. Pfarrer und Taufkind waren ein gutes Team, außerdem waren ein paar Kinder aus ihrer Klasse da, die der Pfarrer ganz leicht miteinbezog, und so wurde die Taufe für das Mädel eine Initiation und für die Kinder zum gemeinschaftlichen Glaubenserlebnis. Sie hat am Ende so gestrahlt. Es rührt mich heute noch. Und das hat mich dann doch wieder mit Vielem versöhnt. Es ist IHR Ding, ganz und gar, aber bitte – ich wurde gefragt, ob ich bereit sei, sie auf diesem Weg zu begleiten. „Ich bin bereit“, habe ich bestätigt. Und eigentlich freu ich mich auch, das zu tun.

Das Fest war schön, sagten die Gäste hinterher. Ein Gast war gekommen um zu brüskieren. Wenigstens blieb er nicht. Trotzdem - Dies und das Wissen um die tote Katze in Nachbars Garten drückten mir aufs Gemüt und ließen mich das Fest nicht wirklich genießen. Aber ich glaube, ja, es war wirklich sehr schön.

Am Sonntagmorgen brach ich früh auf, um das Fest – es hatte nicht zuhause stattgefunden – aufzuräumen und mich außerdem mit der Frau, die nebenan putzt, zu treffen. Kiste und Tuch hatte ich schon vorbereitet. Unser Jazz war nicht die einzige schwarze Katze im Revier, aber ich war mir dennoch sicher - und so war es dann auch – es war unser Kater, der da lag, ohne sichtbare Verletzungen, ohne Anzeichen irgendeines Leidens. Als ob er schliefe.

Und jetzt erst fällt mir auf, wie sehr er Teil meines Lebens war, wie nah er mir war und wie geliebt. Er fehlt. Das laute Maunzen, mit dem er begrüßte, sobald man zur Haustür rein war, das lauthalse Klagen, wenn er irgendwo im Haus Einlass verlangte, das Knabbern am Bein, wenn ich mit dem morgendlichen Kaffee am Küchenfenster saß, das hat mich immer voll genervt, das quere Drüberlatschen wenn alle im Bett lagen, abends vor dem Einschlafen und morgens zum Aufwachen. Und ich erinnere mich, wie er zu uns kam, ein Jahr alt, scheu und eine Wohnungskatze sei er, hatte es geheißen. Und dann war er überhaupt nicht scheu, und er wollte auch gar keine Wohnungskatze sein. Das hat uns vor eine diffizile Aufgabe gestellt: im 3. Stock, zur Miete, ohne Balkon. Der Weg nach draußen ging dann übers Treppenhaus und durch eine Katzenklappe im Fahrrad – und Müllraum, und ich fand beeindruckend, wie souverän er sich erst Haus und Hof und schließlich die Umgebung erschloss. Man hat ihm sein Glück angemerkt. Echte Bäume zum Hochklettern und Boden unter den Pfoten, und in der Wohnung unter uns eine Artgenossin. Die hat ihn erst gar nicht leiden können, aber schließlich konnte er sie doch von seiner Freundschaft überzeugen. Stockwerk für Stockwerk - in jeder Wohnung hat er sich Herzen erobert, war Bruder, Freund, Spielkamerad und Seelentröster. Und Türen, die sich ihm nicht von alleine öffneten, an denen sprang er hoch und drückte die Klinke.  So eine Marke, so eine coole Socke. Ich hätte so gern ein bisschen Zeit mit ihm verbracht. Ach - das ganze Haus trauert.

Mir tat der Absturz nach diesem Glücksgefühl des Feierns leid, aber Irgendwie war mir wohler, nachdem ich es den Kindern am Sonntagnachmittag gesagt hatte. Nach dem ersten großen Weinen bastelten wir eine Art Gedenkschrein, vor dem noch immer eine Kerze brennt. Es wird wieder ein Tier zum Lieben zu uns kommen. Irgendwann. Aber es wird halt kein Jazz sein.

Und dann hat die Stadt einen neuen Oberbürgermeister. So leidenschaftlich ich das bisweilen verfolgt und kommentiert hatte - letztlich zog es dann an mir vorüber. Es wurde nicht der, den ich gewollt hatte. Aber herrje, „dann halt nicht“ . so war meine erste Reaktion. Soll´s halt so sein. Es gibt Wahlen zwischen scheußlichen Möglichkeiten - dies war eine recht  glimpfliche, so eigentlich. Mit ein paar Tagen Abstand merk ich aber nun doch, dass ich es sehr schade finde. Ich hätte gerne zusammen Kiez gebaut.

Regierungen wechseln in den größten Krisen. Aber eine schwäbische Kleinstadt braucht berechenbare Verlässlichkeit bis in den allerletzten Herrgottswinkel. Okay. „Die Zahlen müssen stimmen“. Freilich. Das Gleichzeichen zwischen rechts und links muss schon gelten. Aber es sind ja nun Rechnungen mit vielen Variablen, und welche man wie einsetzt und in welchem Zahlenraum man sich bewegt, da ist man doch eigentlich flexibel, denk ich. Aber ein nicht restlos ausgeschöpfter Topf gilt als Fehler, und die kann sich gottweißwieso keiner nicht erlauben. Die Zeiten verlangen nach Wandel, aber was ist das gegen eine geplante Landesgartenschau, zumal eine, die im XXL-Format geträumt worden war. Da darf man keine Risiken eingehen.

Mir wäre der Andere lieber gewesen. Dem wurde immer Vetternwirtschaft vorgeworfen, vielmehr – unterstellt eigentlich. Zum vetterwirtschafteln braucht es keine Verwandten, das geht auch ganz ohne, und sogar ohne dass man wo jahrzehntelang war. Ich hielt beide Kandidaten für soweit integer, aber die Unterstellung dem einen gegenüber fand ich unfair. Kann ja sein, es gibt da ein paar Verwandte, die sich als Strippenzieher schon einen Namen gemacht haben. Aber nun denn – dass die Jungen nicht tun, wie die Alten wollen, das kommt in den besten Familien vor. Ich hätt´s entspannt abgewartet. Und klar, seine Antworten waren unpräziser als die des Konkurrenten, er war ja auch nicht Bürgermeister und so nah dran. Und dann lassen sich manche Wege im Wahlkampf und vorab auch schwer in Worte fassen, gerade die neuen, unkonventionellen. Sofort steht jemand da und schreit „geht nicht!“. Dabei wäre man am Ende vielleicht überrascht, was alles geht. Naja, es ist wie´s ist. Jetzt hat er vielleicht Zeit für die Familie, und das ist auch sehr schön. Er wird andere gute Wege finden – und sich dennoch für und in der Stadt engagieren. Und wir haben also den andern. Kein Weltuntergang. Jetzt ist Klimaschutz Chefsache, und ich bin gespannt, wieviel Grün in die Stadt und wieviel Solar auf die Dächer kommt, und überhaupt, welchen Stellenwert erneuerbare Energien haben werden und welchen der ÖPNV. Und dann die Bürgerbeteiligung. Über die Jugendhearings hatte er gesagt, es müsse auch etwas draus entstehen, Ideen müssten aufgegriffen und umgesetzt werden. Echte Bürgerbeteiligung also. Toll. Ich bin zuversichtlich, dass ich noch Gelegenheit haben werde, herauszufinden, was es damit auf sich hat.

Am Ende dieser Tage hatte ich das Gefühl, es ist alles anders. Seit dem September ist das Leben nicht schlecht übereinander gepurzelt. Und ich ging in den Alltag wie benebelt nach einem üblen Rausch, der immer noch ein bisschen in den Knochen steckt und auf Schritt und Tritt begleitet und erinnert: „da ist etwas“. Am Montag beerdigten wir den Kater. Die folgenden Tage schienen sich übertreffen zu wollen im Beweis, dass auch ohne große Tragödien der Alltag allerhand Mist und Ungemach zu bieten hat. Aber vielleicht nehm ich auch nur das Kleine zu groß. Ich weiß es nicht. Am Freitag hätte ich zur OB-Verabschiedung begleitet, stattdessen wurd’s ein Krankenbesuch. Und auch das sind Kapitel im Skript des Stücks „Pure Scheiße“ - diese Krankheit, die ein Arschloch ist, ich kann nicht anders sagen.

Jetzt ist auch diese Woche um, und der Tritt wird wieder fester, der Nebel hat sich verzogen. Die Trauer ist noch da, und vom Ungemach auch, und die Arschlochkrankheit. Aber es sind auch wieder ein paar Wege ersichtlich und es keimt sachte Hoffnung. Und irgendwie meine ich, jetzt ist der Novemberblues eigentlich schon vorneweg genommen.

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