Coronazeit

21.03., Coronazeit
Es kam so schnell, dies Corona. Grad war es noch weit weg, war irgendwo - eine etwas andere Grippe, um die ein mir eher hysterisch anmutender Zinober gemacht wurde. Durchaus berührend, aber fern wie die Feuer in Australien, die apokalyptisch waren, aber von denen ich auch nicht annahm, dass sie bis hierher brennen. Gefühlt war es nun eine Woche, vielleicht eineinhalb, dass Corona die Macht übernahm. Und noch da dachte ich „naja, wird schon alles nicht so wild werden“, dann wurde das ´naja´ zu „holà!, was um Himmels Willen…?“, und jetzt schließlich zum tiefen Schlucken.
Ok. Das ist ernst. In der Tat. Und es rechtfertigt alle Maßnahmen und Einschränkungen. Ich war nicht bei den Ersten, die den Ernst der Lage begriffen haben, aber wenigstens – irgendwann
Am Dienstagnachmittag noch mal leichthin das Glück genossen, ein Spaziergang (allein), ein offener Biergarten, ein Tisch ganz für mich - Sicherheitsabstand satt gewahrt - das Bier alkoholfrei, der Moment zum Schwelgen schön.
Das wird es wohl für einige Zeit nicht mehr geben.
Ich halte mich durchweg an die Verhaltensmaßregeln. Auch keine heimlichen Umarmungen mehr. Diese eine am Wochenanfang hatte es gebraucht, so quasi als Selbstvergewisserung, eine Art Gelübde – „ich will das nicht vergessen!“. So hat halt jeder seinen Weg, die Flamme in sich am Leben zu halten. Ich bewege mich jetzt anders, ich schaue anders, ich plane anders. Alles ist anders. Und doch bleibt immer ein Zweifel, ´was ist notwendig´. Muss ich wirklich einkaufen? Kommende Woche sind die Kinder da, ich kann nicht bei allem sagen ´gibt´s nicht, geht nicht´. Ich ging, bekam weder Salz noch Toilettenpapier, was beides regulär und turnusgemäß hätte aufgefüllt werden sollen, bekam dafür was zum Basteln. Und Eis. Salz aus privaten Beständen, und im Klo liegen jetzt Waschlappen. Auf dem Markt Äpfel gekauft, und Blumen für den Friedhof. Notwendig hin oder her. Auch beim Koriander hätte ich sagen können, in den Laden geh ich jetzt nicht auch noch rein. Und dann hätt ich auch keine Melone dort bestellt. Die ich nächste Woche hole. Aber dann würde die Tochter statt der Melone Kekse essen oder systematisch die Reste aus der Fasnetsschatztruhe niedermachen, und das ist mir dann aus anderen gesundheitlichen Aspekten nicht recht. Also doch notwendig. Dann zu den Eltern gegangen. Natürlich könnte man anders Kontakt halten, aber sie haben keinen Umgang mit Internet, und ein Telefonat ist keine Suppe und erst recht kein frisch bezogenes Bett. Wer weiß, wann ich das nächste Mal hinkomme. Lieber jetzt.
Wo Leben ist, ist Bewegung, und ist Kontakt. Es lässt sich runterbremsen und entzerren, (dem kann ich durchaus etwas abgewinnen), aber es lässt sich nicht auf Null setzen. Dann ist´s tot.
Corona ist schrecklich. Für mein Empfinden schrecklich genug, da braucht es nicht noch dieses Bashing, in dem einer die Bewegungen des anderen kontrolliert und immer besser weiß, was notwendig ist und was nicht.
Das Internet ist voll davon.
Einer regt sich auf über Mütter mit kleinen Kindern, die er schwatzend beisammenstehen gesehen hat. So was habe ich diese Woche auch mal gesehen, durchaus nicht dicht an dicht, aber zwei Meter Abstand waren´s auch nicht, und bei den Kindern schon gar nicht. Und ich hab´s verstanden. Ich kann mich noch gut an den Schock nach der ersten Geburt erinnern, wie abgeschnitten ich mich gefühlt habe, und das ganz ohne Geburtstraumata oder postnatale Depressionen und eigentlich trotz einem doch recht intakten und reichen sozialen Umfeld. Trotzdem fühlte ich mich isoliert und die einzige auf dem Planeten, der das Muttersein nicht sofort und ganz natürlich und souverän aus dem Busen und von der Hand floss. Ich habe diese Mütter-Kinder-Treffen gebraucht. Sie waren notwendig und systemrelevant, genauso wie die Hebammen, für die die Glocken auch läuten sollen und für die auch geklatscht werden soll. Jungen Müttern Kontakt zu untersagen kann unterlassener Hilfeleistung gleichkommen.
Zu einem ähnlichen Fazit kam ich am Donnerstag, als ich private Post austrug und an der Ruhe-Christie -Kirche vorbeikam. Es war das erste Mal, dass ich da reinging. Es war die ´blaue Stunde´, und die Fenster leuchteten so warm und golden. So ist das wohl – es sind dies Zeiten, in denen das Betreten einer Kirche einem aller Warnungen zum Trotz eben doch näher liegt als sonst.
Was für eine schöne Kirche! Bescheiden, schlicht und ein wenig gedrungen, der Chor duster, nur ein kleiner Schrein war hell erleuchtet. Ich sah fünf alte Häupter und gebeugte Rücken, einer gehörte dem Geistlichen, der vorbetete und das Lied nannte, das gesungen werden sollte. Das war wirklich berührend. Ich schätze, die Ruhe-Christie-Kirche ist ein guter Ort, um sich der Schwere des Daseins zu ergeben. Der Sicherheitsabstand betrug so pi mal Daumen einen Meter, nicht mehr, und das ohne Not – es hätte Platz gehabt für zwei Reihen Abstand. Aber mir schien, man saß gerade so, dass jeder der Betenden die Anwesenheit der anderen noch spürte. So erträgt jeder das Gewicht besser, und keiner trägt allein.
Ich hätte nicht hingehen wollen und sie auseinandersetzen.
Und vielleicht ist das bei den ganz Jungen gar nicht so viel anders. Am Mädelesbrunnen saßen zwei , die sonst vielleicht gerade aufs Abi büffeln würden. Biertrinkend, Abstand zum ins Ohr flüstern. Das war keine Coronaparty, aber auch kein vorsichtiges, vernünftiges Verhalten.
Sie sollen das nicht tun. Freilich nicht. Sie dürfen nicht. Aber jetzt hinzustehen und sie beschimpfen als die Schuldigen, die den anderen all diese Restriktionen einbrocken, das stimmt auch nicht. Es sind nicht sie, es ist das Virus. Und so hat nunmal jeder sein eigenes Tempo des Begreifens und jeder seinen eigenen Zugang.
Ich habe eine Freundin, die im häuslichen Pflegedienst arbeitet, eine derer, die an vorderer Front stehen. Es gibt nur wenige, die mir so am Herzen liegen wie sie. Und doch streiten wir grad übers Handy, weil sie sich aufregt und alle der Verantwortungslosigkeit bezichtigt, die sich nicht im selben Maß einschränken, wie sie das vermutlich täte, wenn sie´s könnte, und wie sie das als ideal ansähe. Und ich sage dann, alle strengen sich an. Alle tun ihr Bestes.
(Okay – nich alle. Mich erinnert diese Leere bisweilen an 1986, an Tschernobyl, als nach nach einem langen, trostlosen Winter endlich der Frühling kam, und ich mich so nach Sonne sehnte, und dann ging´s nicht, und es war ganz fürchterlich, wieder im Haus eingesperrt zu sein. Auch damals haben die einen schnell, die anderen langsam begriffen, und ein paar wenige nie, die gingen dann in den Wald und dachten ´au geil alle Pilze für mich´. Ich hoffe, sie haben sie überlebt).
Und die Freundin regt sich dann auf. Wenn Bomben fielen, würde jeder kapieren. Nur, weil man´s nicht sieht, denken jetzt manche, es ist nicht da.
Stimmt. So ist das. Bombenhagel und Sirenengeheul wäre eindringlicher. Bei einer stillen, unsichtbaren Gefahr ist das Verstehen anders.
Manchen Leuten genügt ein Zuruf, bei manchen braucht´s einen Erlaß oder ein angedrohtes Bußgeld, bei manchen ein Referat mit einem Dutzend Skizzen und Tabellen, und bei manchen braucht´s Erfahrung. Bei ein paar ist Hopfen und Malz verloren.
Es ist halt nicht so, dass da einer die Parole ausgibt, und dann gehorchen alle und folgen. Und es gibt auch nicht den einen Schalter, den man nur umlegt, und dann hat man´s drauf. Ich hab jetzt auch satte eineinhalb Wochen gebraucht. Einfach mit den Finger schnipsen und dann läuft die Nummer - das mag der Traum einer jeden Macht sein. Auch ich hatte den schon. Wenn ich mit meinem Sohn Hausaufgaben mache und mir die Haare raufe wegen seiner Blockade, dann denk ich, ich hab´s jetzt so oft erklärt – ich weiß, dass du das verstehen könntest, wenn du nur wolltest. Aber er ist auf diese Art halt nicht zugänglich. Und also läuft es nicht so. Und bei meiner Tochter läuft es auch nicht so, wenn es ums Kämmen geht, oder ums Schlecken, um dies, um jenes. Dieses Zollstockgeschimpfe bringt nichts.
Es braucht offenbar einfach eine Ausgangssperre – dann soll es halt so sein. Aber es ist niemandes Schuld. Das hat niemand eingebrockt, niemand anders als Corona.
Natürlich soll und darf niemand eine Coronaparty feiern. Das ist zynisch und verantwortungslos und daneben. Aber die das feiern, die sind in dem Alter, in dem alles möglich ist, und in dem es naheliegt, sich unverwundbar zu fühlen. Und seltsamerweise geht diese Unverwundbarkeit einher mit Todesverachtung und Übermut. Ich selbst denke manchmal, ich habe Glück gehabt, dass ich diese Phase meines Heranwachsens überlebt habe; ich habe mir bisweilen irrwitzige Nummern geleistet.
Außerdem, und das finde ich nicht unwichtig, sind es genau diese Unverwundbarkeit und Todesverachtung, die es so leichtmachen, die junge Generation in den Krieg zu schicken. Das ist nicht mein eigener Gedanke, der ist von Simone de Beauvoir, und ich finde ihn gut. Er ist aus „Alle Menschen sind sterblich“ - wo es überall um Buchtipps für häusliche Stunden geht – dieses kann ich sehr empfehlen. Jedenfalls ist das halt die Kehrseite einer zugegeben zweifelhaften Medaille.
Und noch was: was will man jemandem vorwerfen, der damit aufwächst, dass es nur und ausschließlich um die eigene Party, das eigene Wohlergehen, den eigenen Luxus geht, der das millionenfach vorgelebt sieht, und der mitnimmt, dass Elend und Sterben, solange es unsichtbar und anderswo geschieht, einen nichts angehen. Jahrzehntelang war das die Parole. Gut, wenn die sich ändert. Aber es sitzt nicht über Nacht und fällt auch nicht vom Himmel.
Wir sind im Katastrophenmodus. Es geht ans Eingemachte. Aber wenn wir dabei noch kleinlich sind, dann wird´s erst richtig scheiße. Jeder tut, was er kann, so gut wie er´s kann. Ein paar sind doof – da kann man nix machen. Die gibt´s immer und überall. Aber der Rest ist dran, jeder auf seine Weise. Und ab und zu folgen Leute einer eigenen Not und setzen die Priorität anders. Dann ist das so. Dann üben wir uns in Großmut. Zum ´Gemeinsam schaffen wir das´ gehören auch sie. „Für eine bessere Welt nach Corona!“ , das fände ich mal eine gute Parole!
Mit dieser ließe sich noch viel mehr schaffen bestimmt. Man könnte Leute aus den Flüchtlingslagern und dem Niemandsland holen. Zum Beispiel. Die sind da jetzt völlig verloren.
Das kann´s doch nicht sein!
Es geht nicht nur darum, eine Krise hinter sich zu bringen und eine Katastrophe zu überleben. Wir könnten den Ehrgeiz entwickeln daran zu wachsen und besser zu werden. Dann macht es danach auch mehr Freude, sich im Spiegel anzusehen.
In der Lagune von Venedig tanzen jetzt Delfine. Hab ich gehört, nicht gesehen. Wäre doch schön, sie tun das auch danach.
Coronazeit. Keiner weiß so recht, wie lange sie dauert. Wochen, Monate. Vielleicht sind beim nächsten Biergartenbesuch die Blätter schon bunt und in der Vase stecken Astern. Ach nee – so lange geht’s bestimmt nicht. Vielleicht sind die Bäume dunkelgrün und das Grass ein bisschen verdorrt, und in Kästen und Kübeln leiden Geranien Durst. Auch ziemlich spät.
Ach – vielleicht blüht in der Vase eine Margerite und das Grün der Bäume ist fluoreszierend hell und frisch.
Man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
(Ein Traum wäre, es wäre geschafft, wenn der Magnolienbaum am unteren Ende des Stadtgrabens, der bei dieser nackten, schönen Bronzefrau, die so anmutig die Haare auf dem Kopf zusammenhält - man müsste ihn vom Biergartentisch gerade so sehen – wenn der in voller Pracht steht. Das wäre echt ein Traum).
22.03., Coronazeit
Sonntagmorgen. Das Fenster steht offen. Diese Stille – ich mag sie.
Ich hab´s eh schnell mit den Ohren und habe oft einen Druck darin. Dann halte ich mir die Nase zu und puste hinein, bis es in den Ohren Plopp macht. Das darf man jetzt nicht tun, zumindest nicht in der Öffentlichkeit, und das kommt mich herb an. Ich weiß ja, man darf alles, bloß nicht ins Gesicht fassen. Nur Niesen ist schlimmer. Gesichtfassen nur daheim im Bad, mit Händewaschen davor und danach. Das geht. Aber sobald ich unterwegs bin und daran denke, beißt´s irgendwo.
Ein bisschen Internet. Irgendwo wettert einer, weil eine andere sich für einen Obdachlosen interessiert, den sie schon ein paar Tage nicht mehr gesehen hat, gegen Asylanten. Weil es offenbar so gut tut, bei jedem Thema, bei dem es sich iirgendwie anbietet, auf diese einzuprügeln. Weil immer Not gegen Not ausgespielt wird.
Und dann lese ich von 21.000 Infektionen in Deutschland. (Etwas über 300 in Indien, wo man auch sofort reagiert. Herrje - in diesem Milliarden-Menschengewimmel so ein Virus – Indiens Götterwelt möge sich zusammentun und es helfen zu verhindern. Und wer jetzt noch in Kasten denkt, bei dem weiß ich gar nicht mehr, was ich ihm an den Hals wünschen soll). Irgendwie verstehe ich es immer noch nicht ganz mit diesen Infektionsketten und dem Testen, und bei eingehender Betrachtung noch nicht mal das mit diesen zwei Imperativen, die da nebeneinanderstehen und so tun, als gingen beide gleichzeitig. „Stillgestanden!“ und „Move it!“ Für jemanden, der in einem systemrelevanten Bereich arbeitet und sich nicht sicher ist, ob er infiziert ist oder welches Risiko er mit sich führt, ist es gar nicht so einfach, zu wissen, was nun das Richtige ist. Wie man´s macht, kann´s falsch sein.
Ich habe eine Bekannte, die in der Pflege arbeitet und eine Patientin betreute, deren Sohn, mit dem die Patientin im gemeinsamen Haus lebt und da auch zu Mittag isst, mit positiv getesteten im Skiurlaub war. Die Bekannte konnte sich weder testen lassen, noch erstmal zu Hause bleiben, bis die Lage geklärt ist.
Das verstehe ich nicht. Und ich wünschte, ich kennte mich besser aus in Epidemiologie und der damit verbundenen Verhaltensforschung.
Die Tests sind anscheinend nicht sicher. Wer positiv getestet ist, ist sicher positiv, aber bei wem ein Negativ herauskommt, kann durchaus auch positiv sein. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, würde ein vermehrtes Testen helfen, auch außerhalb des ´Risikobereichs´, der mittlerweile ja gar nicht mehr klar umrissen ist. Jeder kennt einen, und hatte auf Umwegen über diesen und jene Kontakt zu einem aus einem Risikogebiet oder gar Infizierten. Wenn nur die getestet werden, bei denen es wahrscheinlich ist, dass sie positiv sind, dann weiß man doch gar nicht, wie weit das Virus schon verbreitet ist? Wenn nun flächendeckender getestet würde, dann kämen eventuell ganz andere Zahlen raus an Infektionen. Wenn ich derzeit von 3000 in Baden-Württemberg ausgehe, dann neige ich dazu zu denken „ach, das müsst´s schon dumm dahergehen, dass ich in diesem 11-Millionen-Ländle grad auf einen treffe und mich dann auch gleich anstecke“. Wenn ich negativ getestet wäre, würde ich denken, „ok, kann sein, es stimmt, dann ist´s gut. Kann sein, es stimmt nicht, dann ist Vorsicht die Mutter der Porzellankiste und ich nehm´s mal unter Vorbehalt“. Ich hätte dann aber trotzdem ein bessres Gefühl im Job.
In Rottweil sitzt oft eine ganz dünne Frau am Norma, mit mittlerweile Naturtreadlocks und einem pastellfarben gemusterten Anorak. Sie lebt in einem Haus ohne Strom und Heizung und ging bislang ab und an in einen Imbiss oder dergleichen, um etwas Warmes zu trinken und sich aufzuwärmen. Das kann sie jetzt nicht mehr. Gestern hab ich sie wieder gesehen am
Markt. Aufwärmen geht nicht mehr. Aber ein paar Euro für einen Tee am Fensterverkauf tun ihr sicher gut.
Es gab an dieser Stelle ein über mehrere Wochen geführtes Tagebuch, das ich hier weggelassen habe. Wie ich die Beiträge nun übertrage, muss ich fast lachen, wenn ich lese, dass ich die Hoffnung gehabt hatte, das ganze sei vorbei bis der Magnolienbaum blüht.