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Boote mit Frauennamen und Kapitäne, die sinkende Schiffe verlassen

Urlaubsbeobachtungen
copyright Rottweil ist überall

„Wie kommt Ihr mit all den Krisen klar?“ Eine Frage auf Twitter. Tja, was soll ich da antworten. „Gar nicht! Eigentlich.“ Ich würde gerne besser damit zurechtkommen. Ich ringe um ein Gefühl von Normalität, sehne mich nach festen Rahmen und Strukturen, und weiß doch, dass das in dieser Zeit der Krisen und Umbrüche eigentlich unmöglich ist. Bestenfalls kann es einzelne Momente des Friedens geben. Im Urlaub zum Beispiel. Das Rheindelta ist ein wunderbarer Ort dafür. Aber dann – manche Päckchen nimmt man mit, egal wie viele Kilometer man zurücklegt. Und im Grunde ist es auch einerlei: wenn der Kopf zur Ruhe kommt und sich sortiert anfühlt, genieße ich das, egal, wo ich bin. Da ist das Rheindelta so gut wie der Balkon der Nachbarin, deren Wohnung und Katze ich jetzt hüte, und der Sessel im eigenen Wohnzimmer taugt sowieso. Es geht nichts über Ohrensessel.

Es geht mir wie vielen Leuten derzeit: ich befinde mich in einer Art konstantem Krisenmodus. Auf Dauer ist das ungemein anstrengend. Corona, der Klimawandel mit all seinen Katastrophen, Kriege, Hunger und Not überall auf der Welt, all das kombiniert mit diversen Veränderungen im eigenen Leben, ob großer oder kleiner Natur wird sich weisen, das ist zusammen genommen happig. Nichts bleibt, wie es war. Um auszuhalten braucht es Pausen zwischendurch. Man kann sich nicht ununterbrochen das komplette Gewicht des Daseins auf die Schultern laden. Immer geht irgendwo die Welt unter. Aber es ist nicht leicht, unbeschwert zu sein, wenn man nicht ignorant sein und die Welt nicht ganz aus dem Blick verlieren will. So habe ich ganz nebenbei und ungewollt die Ängste und Nöte mit eingepackt, ganz obenauf, mit dem Handy im Tagesrucksack. Wegschieben fiel mir schon immer schwer, und seit ich Twitter auf dem Handy habe, ist es praktisch unmöglich. Sämtliche Katastrophen dieser Welt auf einen Blick, fast in Echtzeit, mitunter ziemlich überhitzt diskutiert und mit viel Aggression unterlegt. Ich überlege, es wieder zu löschen. Ich finde es sehr spannend, aber ich verstehe sowieso nicht, wie das funktioniert mit den Hashtags und wie man einen Tweet so postet, dass er auch gefunden wird.

Dass mir die Ruhe schwerfallen wird, hatte ich vorher schon gewusst und darum Bastelsachen eingepackt. Die Kinder wünschen sich mehr Pflanzen in der Wohnung, und weil wir wenig Stellplatz haben, sollen es nun Blumenampeln sein, die machen auch Spaß zu knüpfen. In den 80ern war das hip. „Da kannst Du überflüssige Gefühle, sowie Wünsche und Gedanken hineinweben“, sagte eine Freundin. Ich war mir nicht sicher, ob ich den richtigen Knoten drauf habe dafür, aber was soll´s – ein Versuch ist´s wert. Wieso nicht mal die esoterische Ader bemühen.

Das Rheindelta am österreichischen Bodenseeende ist ein Paradies. Schilf und Sumpfwiesen, Kies-und Sandstrände, das Wasser mal blau, mal grau, mal türkis wie in der Südsee, es kreucht und fleucht, es hopst, schwimmt und fliegt, und im Rücken erheben sich stolz die Alpen – es kommt einiges zusammen auf diesem Flecken Erde. Das hatte ich nicht gewusst. Leute, die hier oft sind, sagen, es sei selten so bezaubernd wie dies Jahr. Das Hochwasser kreiert ganz neue Landschaften. Parkbänke stehen statt inmitten von grünen Liegewiesen im Wasser, Wege sind überflutet, Fischschwärme schwimmen zwischen den Füßen durch, und Frösche hopsen auseinander, wohin man auch tritt. Sie sitzen in Taschen und Schuhen und nachts retten wir sie aus dem Sanitärhaus, wo sie konfus die Wände entlang hopsen, Wir haben Glück mit dem Wetter und machen konsequent ausflugslosen Badeurlaub. Es gibt kühlere Tage, da mümmeln wir uns sofort in Decken und Tücher, wenn wir aus dem Wasser kommen, aber es gibt auch solche, an denen die Sonne auf der Haut brennt. Den Kindern gefällt´s, das Mädel hat schnell eine Freundin in einem Nachbarwohnwagen gefunden, und der Bub entdeckt das Standup-paddeln und das Schnorcheln und genießt im Übrigen die Abwesenheit von Müssens. - Und ich verbringe nicht wenig Zeit mit den Nachrichten und Twitter, mit dem Kopf in einem dreckigen Wahlkampf, in dem es vielfach um alles geht, bloß nicht um Aufrichtigkeit und neue Wege, (ich empfehle das Renzo-Video auf youtube, das ist wirklich klasse), und dann in Afghanistan, das die Nato fluchtartig verlassen und den Taliban überlassen hat. Ich verzweifle mit Afghan*innen, die den Flughafen stürmen und von den deutschen Fliegern nicht mitgenommen werden, die mit leerem Flugzeug fliegen, während amerikanische vollgepackt sind mit so vielen Leuten wie irgend reinpassen. Ich bin von der Politik selten negativ überrascht, ich traue ihr ziemlich viel Irrsinn und Niedertracht zu. Aber dieser erbärmliche Abgang macht mich dann doch fassungslos. Es lässt mich tage- und nächtelang nicht los.

Ich war nie dafür, dorthin zu gehen wie eine Besatzungsmacht. Natürlich braucht dies Land Hilfe – aber andere. Jetzt hat man nach 20 Jahren endlich festgestellt, dass es so nicht geht. Wow. - Und dann fällt einem nichts Besseres ein, als einfach einzupacken und sich in einer Hau-ruck-Aktion vom Acker zu machen?  Und ist überrascht, dass es genau so kommt, wie es vorher schon klar war? Und hat nicht den Kopf und nicht den Arsch in der Hose, um wenigstens ein anständiges Ende zu finden, sondern lässt die, denen man die ganze Zeit eine glorreiche Zukunft vor Augen gestellt hat, einfach zurück? Und in der ganzen Zeit hat man Legionen beschäftigt und Milliarden ausgegeben für „Spezialisten“, „Experten“ und Geheimdienste, „die Besten“, damit es auch läuft wie es laufen soll - und dann eine so feige und  anstandslose Loosernummer? Aus „nation-building“ wurde billige Rache für einen Terrorangriff. Den Nährboden für Terrorismus hat man nicht zerschlagen, sondern einen viel größeren geschaffen. Bis noch Tage vor der Machtübernahme der Taliban galt hier Afghanistan als ´sicher´, und es wurde dahin abgeschoben. War mir ohnehin unverständlich. Wozu sollte das gut sein? Aus Angst vor den Rechten und weil man deren Animositäten insgeheim eigentlich doch teilt, getraut man sich nicht, eine eigene Haltung einzunehmen und ein Mal zu den Werten zu stehen, deren Flagge man stets so vollmundig hochhält. Dies feige Einknicken ist es doch gerade, das die Rechten erst stark macht. Würde man selbstbewusst zeigen und durchziehen, was man unter guter und anständiger Politik empfindet – sie hätten dem nichts entgegenzusetzen. Wem werden sich gescheiterte, abgeschobene und/oder jetzt enttäuschte Biographien nun wohl zuwenden in diesem dysfunktionalen Land? Man muss nicht drei Mal raten. Es liegt auf der Hand. „Sollen sie selber kämpfen“ heißt es. Wie perfide. So mutig, wie man sich damals in Deutschland kollektiv gegen die Nazis gestellt hat. So?  Die Taliban sind mitunter mächtig geworden mit westlicher Hilfe sowie wegen westlicher Fehler. Die afghanischen Frauen sind doppelt und dreifach verraten. Ihre Befreiung und Emanzipation war nichts als eine Schimäre. Von den Taliban unumwunden verachtet, vom Westen benutzt, und von den moderaten Afghanen bestenfalls geduldet – solange der eigene patriarchale Anspruch nicht in Frage steht. Die westlichen Werte gelten denen doch auch nur so lange was, wie sie selbst einen Vorteil daraus haben.

Den Respektverlust, der sich in mir gerade ereignet, empfinde ich als niederschmetternd. Zu blöd und unfähig, um anständig zu verlieren, sind sie, die Politiker und Geheimdienstler, die Entscheider und, ich weiß es nicht, vielleicht auch die Militärs. Auch verlieren will gelernt sein. Manches klappt, anderes nicht – man rennt trotzdem nicht einfach davon. Wenn man weiß um ein kommendes Ende, dann kann man es auch anständig einfädeln. Es ist so erbärmlich - da komme ich nicht drüber weg. Und ich will auch gar nicht. Die Welt muss weiblicher werden.

So sitze ich am Ufer des Sees und hadere. Ein Mal regnet es so, dass das Zelt schwimmt wie ein Wasserbett. Der Wohnwagen ist leidlich dicht, wir bleiben drin, und ich knüpfe meine erste Blumenampel. Ein Prototyp, ausbaufähig. Aber mir wird etwas leichter, vielleicht auch nur, weil ein Punkt der To-do-Wunschliste geschafft ist. Ich bin im Urlaub. Ich will jetzt nicht verzweifeln.

Der Campingplatz verfügt über einen eigenen Strand, links am Hafen vorbei. Darin liegt Yacht an Yacht, viele tragen Frauennamen. Das erinnert mich an die Kur an der Nordsee. Dort lag „Marianne“ neben „Jenny“ und „Inge“, und ich fragte meinen Bekannten, der uns auf eine Bootsfahrt mitgenommen hatte, ob das so eine Art ungeschriebenes Gesetz sei - dass man dem Boot den Namen der Liebsten gibt. Boote und Schiffe seien weiblich, erklärte er, immer!, auch wenn sie Männernamen trügen, und das sei so, weil sie so komplizierte Seelen hätten, wie Frauen eben. „Aha!“ Und das sei auch bewiesen, erklärte er. Es gebe nämlich Schiffe, die sich vom einen Kapitän lenken lassen und vom anderen nicht, bei dem zickten sie rum! „Klar!“, sag ich, „wenn es einer nicht kann, ist das Schiff schuld, und das ist natürlich weiblich.“

Und hier liegen nun also eine „Lena“ und eine „Bine“, eine „Ariane“ und eine „Rosemarie“, eine „Bavaria“, natürlich in weiß-blau und ziemlich in die Breite gegangen, auch viele andere nicht frauennamentragende, eine windschnittige „Miracle“ und eine gemütliche „summerwine“, „Passion“ liegt neben dem kleinen „Traumschiffle“, das mit einem recht großspurigen Aufbau zu glänzen versucht - Leidenschaft neben Größenwahn, eine fatale Verbindung. Die „petite liberté“ und die „C´est la vie“ haben zusammengefunden und offenbar ein Faß aufgemacht, drumherum schimmert das Wasser ölig in Regenbogenfarben. So liegen sie am Morgen alle friedlich und zugedeckt beieinander, und am Mittag fahren sie dann raus, schippern einmal um die Kurve und legen vor der Nachbarbucht an, viel zu dicht häufig. Eine Wohnwagennachbarin sagt, sie müssten eigentlich mindestens 100 Meter Abstand halten, weil das ganze Ufer Naturschutzgebiet ist; doch das interessiert viele nicht. Und so habe ich sie also alle vor mir, eine Armada an gehobenen Mittelstandsyachten, die Hintern dem Ufer zugestreckt, sektschlürfend, hindümpelnd. Und ich stelle mir all diese komplizierten Seelen vor, die also eigenständige Wesen seien. „Rosemarie“ mit dem dicken Hintern lästert mit der schnittigen „Bine“ über „Jenny“ mit dem üppigen Vorderbau, „DIE schon wieder!“, das „Traumschiffle“ gibt vor „summerwine“ mit seinem Deck an, „so eine Liegefläche hättest du wohl gerne, du kleine Promillejolle“, Opa „Old boy“ passt auf die kleine gelbe „Lena“ auf, damit die nicht unter die fette „Bavaria“ rutscht. Und die „so what“ liegt unscheinbar dazwischen und denkt sich ihren Teil, ihr geht sowieso alles komplett am schmalen Arsch vorbei. Die „Miracle“ zischt zwischendurch und versprüht ihre Gischt; sie schert sich einen Dreck und gibt sich unnahbar. Die „C´est la vie“ legt sich neben die kleine Freiheit und kuriert ihren Kater, und gemeinsam kosten sie die Stunden aus bis zum Abend, wenn es wieder in den Hafen geht. Und das müssen sie auch, weil der Sommer und die ganzen Liegekosten müssen sich lohnen. Es ist bereits August und bald kommt der Herbst und da werden sie abgetakelt und landen auf dem Trockenen, und dann geht lange Zeit gar nichts mehr. Aber vielleicht, das müsste man ihnen sagen, ist das auch gar nicht schlimm – so ein Winterschlaf.

Und das betrachte ich also und fragte mich, was das für eine Marotte ist –einmal um die Ecke in die Nachbarbucht schippern und dort vor dem Ufer festzumachen, obwohl am Strand massig Platz ist und man prima ins Wasser kann, mit einer Luftmatratze, die viel besser schaukelt und das ganz ohne Sprit und Anker, der den Boden aufreißt, und ohne das ganze Gedöns vom Hafen inmitten eines Naturschutzgebietes. „Nun denn“, denk ich, „wer´s braucht“. Ich verstehe diese ganzen Statussymbole nicht; ich habe keine Ahnung, weswegen es einen SUV braucht, obwohl man mitten in der Stadt wohnt und niemals offroad irgendwohin muss, weshalb es eine bestimmte Boutique und Marke sein muss, eine Zweit- oder Drittwohnung, ein Boot, …Sie sind austauschbar und nichtssagend, diese Statussymbole, und die Leute, die über sie verfügen, sind nicht unbedingt glücklicher als die anderen. Lebensfreude und – qualität hat viele Komponenten. Konsum ist nur eine davon. 

Und dann sind wir selbst da draußen. Seitdem wir 2017 das Kinderzimmer am Rottweiler Narrentag an zwei Frauen und einen Überlinger Hansel vermietet hatten, haben wir Freunde in Ulm, und die haben ein Boot am See und laden uns ein. Wir werden im Yachthafen abgeholt, steigen ein, setzen uns draußen auf eine schwimmende „Banane“, die ans Boot hintendran gehängt ist, flitzen darauf über den See und haben den Spaß unseres Lebens. Die Kinder kreischen vor Freude. Und anschließend dümpeln wir in der Nachbarbucht und trinken Sekt und picknicken und schwimmen ums Boot und gucken von der anderen Seite aus Richtung Ufer und haben also die Seiten gewechselt - und so einen Spaß dabei, dass der Große abends sagt „so was brauchen wir auch!“ Ha! Guter Witz! „Wir gucken mal, wie es mit einem Standup-paddelbrett aussieht. Das muss genügen.“ Aber wenn wir das Geld hätten, wir würden wohl an ein Boot denken. Dabei tut´s die Luftmatratze auch. Dabei ist das alles ein unerhörter Luxus, wie der Urlaub selbst ja schon einer ist. Was sind wir nur für eine verzogene Bande, alle miteinander.

Heimgekommen rede ich mit einer Freundin darüber. „Wir sind zu viele“, sagt sie, „das haut doch alles nicht mehr hin“. Ja, wenn alle alle Güter wollen, die als ´gutes Leben´ gelten, dann ist das bei Weitem zuviel. Aber man kann ja nun nicht darauf hoffen, dass die Menschheit weniger wird. Man kann nicht einfach abhängen, aufgeben, aussieben, wegschieben. Die globale Rechnung muss schon so sein, dass alle die Chance auf ein Wohlergehen haben. Also muss es für sehr viele ein mitunter Sehr-viel-weniger sein. Da fallen dann manche Yachten und Drittvillen weg, und vielleicht sogar das Standuppaddelbrett und die Luftmatratze und überhaupt die Fahrt in den Urlaub. Die globale Rechnung sollte schon so gerechnet werden, dass sie auch aufgeht.

Links darf man nicht sein, in manchen Kreisen ist das ein Schimpfwort, und bisweilen werden linke Gedanken gehandelt wie Verrat. Als No-Go. Rechts darf man auch nicht sein, aber eher. Rechts gilt als bewährt – solange es nicht übertrieben wird -ZU weit rechts ist. Auswüchse in diese Richtung werden von der Mitte aus gesehen gemeinhin aber eher toleriert. Da werden dann Gründe gesucht, wie bei einem missratenen Kind. Was ist denn schief gelaufen? Und hat es nicht eventuell doch irgendwie irgendwo recht. Während zu weit links einfach indiskutabel ist. Da werden Auseinandersetzungen auf eine Weise diffamierend, die jeden Boden entzieht. Rechte bemühen da zum Beispiel dann die ganze Palette der Kleinstlebewesen. Spricht auch für sich. Ich habe nichts gegen Kleinstlebewesen. Der Sozialismus hat nicht lange und nicht überzeugend funktioniert. Das mag schon sein. Aber der Kapitalismus tut das auch nicht. Die Tücken sind offensichtlich. Es gibt Superreiche, die immer reicher werden, während es anderen nicht mal zum täglichen Bedarf reicht. Und das soll in Ordnung sein. Es gibt Modelle, die den Kapitalismus veranschaulichen. Am Anfang hat jeder Teilnehmer gleich viel, dann kumuliert das Kapital und es ergibt sich eine Pyramide, bis am Schluß einer alles und alle anderen nichts haben. Das sind Modellrechnungen, mit denen Kapitalismus gelehrt wird. So funktioniert er. Die Demokratie mag an Marktwirtschaft gekoppelt sein, ans freie Schaffen. Aber sie ist es doch nicht an den Kapitalismus. Diesen in Frage zu stellen, muss erlaubt sein. Ist es aber nicht, nicht politisch jedenfalls.  Keine Diskussion hierüber! Basta! „Systemfrage“ heißt das. Darf man nicht stellen. Ich weiß nicht, wie sich solche Rechnungen zusammensetzen, aber es gibt Zahlen, was ein Umbau der Wirtschaft auf Nachhaltigkeit global kosten würde, und das Geld ist da – in Privatbesitz. Ich verstehe diese Reichen nicht. Was stellt sich so ein Multimilliardär vor? Dass das immer so weitergeht, er immer noch mehr hat und der Planet kippt, und dann hat er die Kohle und das technische Know-how und kauft sich seine eigene Indoorbiosphäre und darin ist er dann sicher, während der Rest der Menschheit draußen vor die Hunde geht? Oder wie? Er geht auf den Mars? Und der Rest bleibt?  Haben die zu viel science-fiction gesehen? Aber die „Systemfrage“ darf nicht gestellt werden. Ein No-Go. Die Wirtschaft muss bleiben, wie sie ist. Und erlaubt ist nur, was systemkonform ist.

Das lässt nicht eben hoffen auf einen Willen zu Reflexion und Veränderung. Ich glaube, ähnlich verbohrt war man zuletzt vor der französischen Revolution, als ein Teil so gar nicht mehr mitbekam, wie sehr daneben alles läuft. „Sollen sie halt Quarktaschen essen, wenn sie kein Brot haben“ – der armen Marie-Antoinette in den Mund gelegt. Wobei – arm – mein Mitleid hält sich in Grenzen.

Keine guten Überlegungen für sonnige Strandtage.

Ich habe Geburtstag und wünsche mir ein Lagerfeuer am Strand, mit süßem Sprudel, Sekt und Grillkartoffeln. Überall am Ufer verteilt sind abends Feuer und an jedem ist ein kleines Fest. Und je weiter die Sonne untergeht und je goldener sie sich im Wasser spiegelt, desto höher lodern die Flammen. Ich find´s toll.

Die Party war ein Flop. Man muss der Wahrheit ins Auge sehen. Unser kleines Dreierfamilienfest war schnell vorbei. Den Kindern gefiel´s nicht, und ich aß zuletzt und allein und betrachtete den Sonnenuntergang, der auf dieser Seite des Sees besonders schön ist und schöner gar nicht hätte sein können. Auch okay. Der Heimweg war mühsam, ich war schwer beladen, und ich rauschte in eine der Nachbarpartys hinein, wo man, weil ich den ganzen Abend häufiger vorbeigekommen war, Wegezoll verlangte. Ha! - Junge – so nicht! Ich erklärte die Lage und bekam das kraftvoll geschmettertste Ständchen ever. Und ein Glas vom BeerPong, einem Spiel, das bei all diesen Jugendgruppen und Festen in diesem Sommer omnipräsent ist, und dessen Regeln ich nicht ganz verstand - das mit dem Tischtennisball in gegnerische Becher treffen schon. Aber weshalb der verliert, der am Ende die meisten Becher hat, das leuchtet mir nicht ein.  Das ist derjenige, der zwar weniger getrunken, aber besser gezielt hat. War sehr lustig jedenfalls. Und ich bin noch an ein paar solcher BeerPongtische vorbeigekommen. Und alle hatten andere Regeln. Vielleicht ändern die sich auch im Lauf des Spiels. Keine Ahnung. Auch egal. Das Bier war okay.

Und so geht es auf und ab in diesem Urlaub, und ich bin mal von den Wellen in Trance geschaukelt und sonnig gechillt, mal innerlich unruhig angesichts der anstehenden Veränderungen in persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Belangen, und dann wieder aufgewühlt bis verzweifelt und empört angesichts des Zustands der Welt. Afghanistan. Von Bregenz nur ein Wimpernschlag entfernt.

Ich chatte mit einem amerikanischen Soldaten in Syrien und diskutiere mit ihm den Frieden, und mit einem jungen Mann in Gambia, der seine Nöte in einem Lockdown in einem armen Land schildert, das keinerlei Unterstützung gewährt. Und auch auf dem Campingplatz wird die globale Lage und Rechnung diskutiert. Es sind viele Dauercamper da, und was im normalen Leben nicht funktioniert – hier geht es: alle bilden eine Gemeinschaft, die Kommune bringt Alt und Jung, Rechte und Linke, Mann und Frau, Single und Familie, ja, sogar ein bisschen Arm und Reich zusammen. „Jedem das Seine“ – hier geht es, vielleicht weil es nicht viel dazu braucht, wenn ein Ort von allen gleichermaßen als Hort der Harmonie definiert wird, an dem der Unfrieden draußen bleibt.

S. irritiert mich dennoch. Bekennender Afd-ler. Hat seine Jugend noch in der damaligen DDR verbracht, das Erwachsenenleben im vereinten Deutschland gearbeitet, wohnt jetzt in Österreich, wo, wie er sagt, die Löhne besser sind und auch die zu erwartende Rente; wo er heuer Dauercamper an einem der Sahnestücke des Bodenseeufers ist und ebenda von einer Frühverrentung träumt, die er dann in Thailand genießen will. Ich meine, kann man machen. Wieso nicht. Aber woher diese alles durchdringende Unzufriedenheit? War doch alles eine Erfolgsgeschichte. Die Wiedervereinigung, von den etablierten Parteien eingetütet, das Arbeiten, das ihm einen bescheidenen Wohlstand einbringt, die EU, die ihm die das innereuropäische Länderhopping ermöglicht, die Sozialsysteme, die ihm einen Lebensabend in den Tropen versprechen – alles bestens. Wo ist das Problem? Ich wundere mich. Und stoße an mit seinem Vogelbeerschnaps. Auch nicht so mein Geschmack. Einer  reicht. Danke vielmals.

Unter den alleinstehenden Herren der Dauercamper scheint die rechte Liga gut vertreten zu sein. Die alleinstehenden DauercamperInnen sind da anders gestrickt. Die sammeln wie wir Muscheln und Federn, schmücken ihre Domizile damit und stellen Bänke so auf, dass sich die Sonnenuntergänge gut betrachten lassen. Von einer erfahre ich, dass Heizdecken die Lösung so mancher Probleme sein können. Auf den ersten Blick dünkt mich das nicht sonderlich nachhaltig. Bei eingehender Überlegung komme ich darauf, dass es das durchaus ist – eine Heizdecke kann so manches andere ersetzen. Der Gedanke gefällt mir.Wir tauschen Telefonnummern. Vielleicht braucht´s mal einen Erfahrungsaustausch.

Zwei Wochen sind viel zu schnell vorbei. Der Abschied fällt schwer. Am Ende und alles zusammen war es ein toller Urlaub. Wir haben gebadet bis die Haut runzlig war, haben uns von den Wellen wiegen lassen, sind auf einer Banane über den See geflogen, haben neue Freundschaften geschlossen und das Standup-paddeln entdeckt, Barbie und Uno und Lego und „Reich und schön“ gespielt. Zur Erinnerung nehmen wir Schnakenstiche mit und mit Nagellack bemalte Steine, in leere Marmeladengläser drapierte Muscheln, Sträuße von Schwanenfedern, und für jedes Fenster eine Blumenampel voller Wünsche:„Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht zu Ende.“  Ich kann die Krisen nicht aufhalten, das Leben bleibt ein kontinuierliches Ringen um Zuversicht. Es hilft, wenn ich diese nähre und tue, was sich gut und richtig anfühlt, den Gutmenschen und Optimisten gebe. Wenn ich es spüre, spüren es andere auch - wir sind viele, und also ist noch nichts verloren. Darin steckt eine Prise Selbstbetrug, das weiß ich wohl, aber es scheint mir die beste der Möglichkeiten. Besser  als diese dauerbeleidigte, rechte Unzufriedenheit und besser als selbstgerecht gemäßigte Ignoranz auf jeden Fall. Ich wähle Wechsel. An mir soll´s nicht liegen. Auf ein Neues. So ganz unbemerkt ist die ganze Kiste doch neu sortiert und geordnet. Sollen sie kommen, all die Veränderungen, privat und gesellschaftlich, klein und groß - ich für meinen Teil, und die, die ich an der Hand nehmen kann - wir wären bereit. 

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